Drei Journalisten, die im Stuttgarter Untersuchungsausschuss als
Sachverständige gehört wurden, sprechen im Waiblinger Schwanen. Die
Zuhörer nutzen die Gelegenheit, die Rechercheure nach ihrer Meinung zu
befragen.
Hartnäckige Rechercheure: Thumilan Selvakumaran, Thomas Moser und Rainer Nübel (von links).Foto: Gottfried Stoppel
Waiblingen
- Ihnen ist schon bewusst, dass Sie jetzt seit drei Stunden hier sind?“
Nein, das scheint dem Publikum im Waiblinger Kulturhaus Schwanen völlig
entgangen zu sein, denn nicht nur das Thema des Abends ist fesselnd:
die Ungereimtheiten um die Aufklärung der NSU-Mordserie.
Auch die Gelegenheit, drei ausgewiesene Experten der Materie als
Referenten zu hören und mehr noch, die Gelegenheit zu haben, ihnen
Fragen stellen zu können, lässt die Besucher am Donnerstagabend die Zeit
völlig vergessen. Die Journalisten Thumilan Selvakumaran, Thomas Moser
und Rainer Nübel recherchieren und publizieren zu dem Thema NSU-Terror
und dessen Aufklärung seit Jahren und wurden deshalb jüngst als
Sachverständige vor den Untersuchungsausschuss des Landes geladen. Und
Peter Schwarz, Moderator des von der SPD initiierten Abends, und
Redakteur der Waiblinger Kreiszeitung, hat zusammen mit Semiya Simsek,
der Tochter des ersten NSU-Mordopfers Enver Simsek, das Buch
„Schmerzliche Heimat“ geschrieben.
Vertrauliche E-Mails als gefälscht bezeichnet
Die drei Referenten zählen zu den zehn Autoren des Buchs „Geheimsache
NSU – zehn Morde, von Aufklärung keine Spur“, das bei Klöpfer &
Meyer erschien. Aus diesem lesen sie einzelne Passagen oder sie zitieren
direkt aus Unterlagen, die eigentlich unter strengster Geheimhaltung
stehen, ihnen aber dennoch zugespielt wurden. So liest Rainer Nübel
(Zeitenspiegel, Stern) aus dem E-Mailverkehr zwischen deutschen und
amerikanischen Geheimdiensten, der unmittelbar nach dem Mord an der
Polizistin Michelle Kiesewetter geführt wurde. Daraus ergibt sich, dass
zum Zeitpunkt des Mordes in Heilbronn amerikanische Agenten dort im
Einsatz waren, die möglicherweise Augenzeugen des Geschehens waren. Doch
dem Angebot, die Informationen den deutschen Behörden zu geben, sei
nicht angenommen worden. Stattdessen behauptete die Bundesanwaltschaft,
die E-Mails seien gefälscht.
Die diese Woche bekannt gewordenen Pannen in der Untersuchung des
ausgebrannten Autos auf dem Cannstatter Wasen waren am Donnerstag
natürlich auch ein Thema. Wiederum sei hier ein Polizist involviert
gewesen, der zur Einsatzgruppe Michelle Kiesewetters in Böblingen gehört
habe. Dort seien Angehörige von US-Spezialeinheiten stationiert
gewesen, die jene amerikanischen Agenten schützten, die in Heilbronn
Beobachtungen gemacht hatten. Diese zählten zu rund 100 US-Agenten, die
2011 in Deutschland der islamistischen Sauerlandgruppe auf der Spur
waren. Zu der Einsatzgruppe Kiesewetters in Böblingen gehörten wiederum
jene beiden Beamten, die dem deutschen Ableger des rassistischen
Ku-Klux-Klan angehörten. Und diese hätten wiederum Kontakt zu den
amerikanischen Elitesoldaten gehabt. Alles Zufall? Das sei wenig
wahrscheinlich.
„Verschwörungstheorie stammt von Bundesanwaltschaft“
Ob sie keine Angst hätten, durch ihre Recherchen in Gefahr zu
geraten, will ein Zuhörer wissen. „Wir geben nur weiter, was man uns
anvertraut. Gefährdet sind diejenigen, die uns die Informationen geben“,
sagt Selvakumaran (Südwestpresse). Moser, der als freier Journalist für
die ARD arbeitet, berichtet, dass ihm schon angedroht wurde, er bekäme
keine Interviews mehr aus dem Bundestag. Außerdem werde man sogar von
Kollegenseite her als Verschwörungstheoretiker bezeichnet. „Die
Verschwörungstheorie kommt aber nicht von uns, sondern von der
Bundesanwaltschaft, dass der NSU nämlich nur aus zwei oder drei Personen
bestanden habe.“
Das Landeskriminalamt hat neue Ermittlungen im Fall Florian H.
aufgenommen. Grund sind seine Hinweise auf eine Organisation namens NSS,
deren Existenz bislang bestritten wurde - zu Unrecht.
SCHWÄBISCH HALL
THUMILAN SELVAKUMARAN |
Klein, zierlich, blond gefärbte Haare: Matze K. aus Neuenstein
(Hohenlohekreis) sieht unscheinbar aus. Allerdings könnte der
Mittzwanziger, dessen Fotos unserer Redaktion vorliegen, in den
NSU-Ermittlungen eine Rolle spielen. Grund ist die "Neoschutzstaffel"
(NSS), die laut Aussagen des Aussteigers Florian H. die "zweite radikale
Organisation neben dem NSU" darstellte. H. verbrannte im September 2013
in seinem Auto - just an jenem Tag, als er erneut vom LKA befragt
werden sollte.
Zunächst sagte in der gestrigen Sitzung des
NSU-Untersuchungsausschusses die einstige Ausbildungsleiterin der
SLK-Klinik in Heilbronn aus. H. habe im Sommer 2011 Mitschülern erzählt,
Neonazis steckten hinter dem Polizistenmord von Heilbronn. Sie habe
sich aber erst nach Auffliegen des NSU im Dezember 2011 an die Behörden
gewandt, weil sie dachte, "der Florian wollte sich nur wichtig machen".
Heute wird der Mord tatsächlich Neonazis zugerechnet: Uwe Mundlos und
Uwe Böhnhardt vom NSU.
Im Januar 2012 hatte das LKA H. zu seinen Hinweisen befragt und ist
mit ihm zum Haus der Jugend nach Öhringen gefahren, wo laut Aussage des
Hinweisgebers 2010 ein Treffen zwischen NSU und NSS stattgefunden haben
soll. Dieser Hinweis hat sich laut Julia M. vom LKA "ziemlich
konstruiert angehört". Zudem sei es H. "sichtbar unwohl" gewesen, weil
er "beim Lügen erwischt worden war". Die Beamtin ist überzeugt: "Alles
was er zu NSU gesagt hat, war erfunden." Die NSS-Spur hätte nicht
bestätigt werden können. Im Übrigen sei es nicht Aufgabe des LKA
gewesen, dem nachzugehen - "weil wir nicht in der rechten Szene
ermitteln sollten, sondern nur zum Mord in Heilbronn."
Wurden die Akten zu früh beiseite gelegt? Das scheint so. Denn die
NSS gab es offenbar doch. Und Matze K., den Florian H. einst als
"Ziehvater in die Szene" benannt hatte, war Mitglied. Er trägt laut
Aussage von Oliver R. von der LKA-Ermittlungsgruppe "Umfeld" gar ein
NSS-Tattoo an der Hüfte. Die Behörde habe allerdings erst vor wenigen
Wochen diese Spur bestätigen können, da die Person bis dahin nicht
identifizierbar gewesen sei.
Ein ungewöhnlicher Vorgang. Denn die Ermittlungen zu H. waren wenige
Tage nach dessen Tod durch Staatsanwalt Stefan Biehl eingestellt worden.
Das LKA hatte damals noch versucht, über die Bundesanwaltschaft neue
Ermittlungen anzuregen - und scheiterte.
Jetzt, wo sich der Ausschuss mit dem Thema befasst, wurde die Spur
vom LKA selbständig wieder aufgenommen. "Warum haben Sie das gemacht?",
will Vorsitzender Wolfgang Drexler (SPD) von Oliver R. wissen. Die
Hintergründe will der Beamte aber nur unter Ausschluss der
Öffentlichkeit beantworten. Er bestätigt jedoch, dass Matze K. "jetzt
identifiziert" und vom LKA zur NSS befragt worden sei. Die Vernehmung
gilt als Verschlussache.
Drexler kritisiert, dass sich die Behörden "gleich am Anfang ihrer
Arbeit für eine Linie entschieden haben". Der Ausschuss wolle besser
agieren: Für den Fall H., der mit dem gestrigen Freitag eigentlich
abgeschlossen werden sollte, könnte nun ein zusätzlicher Termin
anberaumt werden. Auch, weil die Familie nächste Woche eine scharfe
Pistole und das Laptop ihres Sohnes an den Ausschuss übergeben will.
Zusatz Info
Fahrlehrer will zwei Personen am Auto gesehen haben
Hinweis Jürgen M. war am Morgen des 16. September 2013
zwischen 8 und 9 Uhr am Canstatter Wasen. Er hat nach eigenen Angaben
eine halbe Stunde vor dem Brand eine Person am Wagen von Florian H.
lehnen sehen, eine weitere sei im Wagen gesessen. Aussage In der Ermittlungsakte zum Fall wird der Fahrlehrer
zwar genannt, allerdings mit der Aussage, keine Personen hätten sich am
Fahrzeug aufgehalten. Daher seien auch seine Personalien nicht notiert
worden, erklärte ein Polizeibeamter vor dem Ausschuss. Ladung Der Ausschuss plant nun, den Fahrlehrer vorzuladen.
Denn die bisherige These, es müsse sich beim Tod von Florian H. um
Suizid handeln, beruht unter anderem darauf, dass keine weiteren
Personen am PKW gesehen wurden, als der Brand ausbrach.
Ausgerechnet ein Polizist, der selbst Nähe zu Rassisten hatte,
ermittelt im Todesfall eines NSU-Hinweisgebers. Ein Zufall? Eine Panne?
Eine unsensible Diensteinteilung der Stuttgarter Polizei?
THUMILAN SELVAKUMARAN |
Ausgerechnet ein Polizist, der selbst Nähe zu Rassisten hatte,
ermittelt im Todesfall eines NSU-Hinweisgebers. Ein Zufall? Eine Panne?
Eine unsensible Diensteinteilung der Stuttgarter Polizei? Die Behörde
will sich nicht dazu äußern, versteckt sich hinter der Zuständigkeit der
Staatsanwaltschaft. Diese verweist zurück auf das Präsidium - die
Polizei-Personalplanung sei nicht Sache der Juristen.
Der Beamte soll am Montag als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss
zum Fall Florian H. aussagen - zunächst aber nicht zu seinen eigenen
Verstrickungen. Dabei fällt auf, dass Verbindungen von Ermittelnden in
rechtsextreme Kreise nie ganz aufgeklärt wurden. Im Fall Jörg B. hat die
Behörde eigenen Angaben zufolge keine Belege dafür gefunden, dass der
Beamte Mitglied im Ku-Klux-Klan war. Klar sei nur, dass er einem
Kollegen den Kontakt hergestellt habe. Dieselbe Behörde erklärte
allerdings zur Mitgliedschaft von zwei Polizisten im Klan, diese hätten
nichts von der rassistischen Ideologie des Geheimbundes gewusst. Die
Beamten sind heute noch im Dienst.
Da die Behörde wenig Interesse an Aufklärung zeigt, ist der
Untersuchungsausschuss gefordert. Allerdings wird immer deutlicher, dass
das Gremium bei der Fülle an Zufällen, Pannen und Verstrickungen kaum
zum Ziel kommen wird. Anfang 2016 endet die Ausschussarbeit. Es rächt
sich, dass die Parlamentarier das Gremium nicht früher eingesetzt haben. THUMILAN SELVAKUMARAN | Quelle - Südwest Presse
Florian H., ein früher Hinweisgeber zum NSU, starb 2013 unter
mysteriösen Umständen. Nun wird bekannt: Ein Ermittler im Fall stand
selbst im NSU-Komplex im Fokus - Jörg B. hatte Kontakte zum
Ku-Klux-Klan. Mit einem Kommentar von Thumilan Selvakumaran: Zufälle, Pannen, Verstrickungen.
THUMILAN SELVAKUMARAN|
Ein nachgestelltes Bild mit einer originalen Kutte des Ku-Klux-Klan-Ablegers in Schwäbisch Hall.
Foto: Ufuk Arslan
Auf der Zeugenliste des Untersuchungsausschusses zum
Nationalsozialistischen Untergrund am Montag steht an neunter Stelle
"J.B." - Jörg B., Kriminaloberkommissar. Der Beamte soll über
Ermittlungen im Fall Florian H. berichten. Doch nach Informationen
dieser Zeitung stand B. selbst im Fokus: als Kontaktperson zwischen
Polizisten und dem Ku-Klux-Klan.
2001, sechs Jahre vor dem Heilbronner Polizistenmord, der dem NSU
zugeschrieben wird, soll Jörg B. einen Kollegen von der Böblinger
Bereitschaftspolizei in eine Sportsbar in seinen Heimatlandkreis
Schwäbisch Hall mitgenommen haben. Dort traf sich der deutsche Ableger
des Ku-Klux-Klan, jenem rassistischen Geheimbund, in dem der Bruder von
Jörg B. zu dieser Zeit eine gehobene Stellung hatte.
Der Kollege von Jörg B. und ein weiterer Polizist wurden später
offiziell Mitglieder des Klans. Und einer der beiden war später der
Gruppenführer der in Heilbronn getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter.
Als die Sache aufflog, versicherte B. seiner Behörde, trotz der Nähe
nie im Klan mitgewirkt zu haben. Und das Innenministerium erklärte 2012,
keinerlei Belege für das Gegenteil gefunden zu haben. B. verrichtet
heute seinen Dienst in Stuttgart.
Doch damit nicht genug: 2013, nach dem mutmaßlichen Suizid von
Florian H. - einem frühen Hinweisgeber im NSU-Komplex - überbrachte
ausgerechnet Jörg B. der Familie des Neonazi-Aussteigers die
Todesnachricht. Das geht aus Ermittlungsakten hervor, die der SÜDWEST
PRESSE vorliegen.
Ein Zufall? Und hätte das der Dienststelle bei der Zuteilung der
Aufträge auffallen müssen? Das Präsidium Stuttgart hält sich mit
Antworten zurück. Thomas Ulmer erklärt: "Über einzelne Mitarbeiter geben
wir keine Auskunft." Sein Kollege Stefan Keilbach ergänzt: "Fragen zur
Organisation der Ermittlungen könnten nach unserer Einschätzung mit
hoher Wahrscheinlichkeit auch Inhalt der Untersuchungen des Ausschusses
sein." Die Polizei wolle dem nicht vorgreifen.
Wolfgang Drexler (SPD), Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses
im Land, will sich zum Zeugen Jörg B. nicht äußern, teilt aber mit, das
Gremium plane, sich in den nächsten zwei Sitzungen am Montag und
Freitag explizit mit Florian H. zu befassen. Im April sollen weitere
Bezüge von Rechtsextremen ins Land beleuchtet werden. Erst im Mai
könnten Fragen zum Ku-Klux-Klan in den Fokus rücken.
Durch V-Leute wie "Corelli", der Mitglied im Klan war, entstanden
Verbindungen zwischen Ku-Klux-Klan und NSU, der für den Polizistenmord
verantwortlich gemacht wird. Dass Rechtsextreme hinter der Tat stecken
könnten, wurde erst nach dem Tod der NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt am 4. November 2011 bekannt.
Bereits im Sommer davor hatte Florian H. aus Eppingen nach Aussagen
aus seinem Umfeld behauptet, er wisse, dass Neonazis hinter dem Mord an
Kiesewetter steckten - zu einer Zeit, als die Behörden offiziell nach
Tätern in ausländischen Banden suchten. H. sprach auch von einer zweiten
radikalen Organisation namens "Neoschutzstaffel".
Vater und Schwester des Hinweisgebers berichteten am Montag im
Ausschuss, dass Florian H. massiv von Neonazis unter Druck gesetzt
worden sei. Hätte er ausgepackt, wäre er seines Lebens nicht mehr sicher
gewesen, sagten sie. Doch das LKA habe H. eher "gemolken" statt ihm den
versprochenen Schutz zu gewähren. Aus Akten wird deutlich: Die
Ermittler drangen auf ein weiteres Treffen, um H. erneut zu befragen: am
16. September 2013 um 17 Uhr an seiner überbetrieblichen
Ausbildungsstätte in Geradstetten.
Doch acht Stunden davor verbrannte der 21-Jährige qualvoll in seinem
Peugeot - und Jörg B. suchte die Familie H. auf. Er und ein Kollege, die
die Todesnachricht überbrachten, hätten behauptet, H. habe sich wegen
schlechter Noten selbst mit Benzin übergossen und angezündet. Das
berichtet die Familie. Sie spricht von Mord. "Florian war ein
1-Komma-Schüler", sagt Vater Gerhard H. Und: "Er hatte panische Angst
vor Feuer." Nach diesem Einwand hätten die Ermittler eine neue These
aufgestellt: Florian habe sich aus Liebeskummer getötet. Doch weder die
Familie noch H.'s damalige Freundin Melissa M. wurden dazu von
Polizisten befragt.
Die Familie erhofft sich durch die Arbeit des Ausschusses Gewissheit
über die letzten Stunden von Florian H. und seine Todesumstände. Die
Angehörigen berichteten vor den Parlamentariern, dass der 21-Jährige am
Abend vor seinem Tod einen Anruf erhalten hatte, der ihn sehr verstört
habe. "Wir wissen bis heute nicht, wer am Telefon war", sagt der Vater.
Er kritisiert die Arbeit der Ermittler: "Die Polizei hat uns nie
ernsthaft befragt." Auch sei das Fahrzeug nicht gründlich untersucht,
sondern bereits einen Tag nach dem Tod von Florian H. zur Verschrottung
freigegeben worden.
Die Familie sicherte sich aber das Wrack und durchsuchte es. "Noch
heute fehlt der große Schlüsselbund von Florian", sagt der Vater. Er
taucht auch auf der Asservatenliste nicht auf. Jedoch fand die Familie
im Wrack Laptop und Handy des Sohnes. Die Beamten hätten die Geräte
unberührt liegenlassen, so die Schwester. Interessierten sie sich nicht
für den Inhalt? Immerhin hatte sich das LKA von der geplanten Befragung
weitere Hinweise des 21-Jährigen zu Neonazis erhofft. Die Familie will
die Geräte nun dem Untersuchungsausschuss geben. Auf der Festplatte
sollen unter anderem Fotos sein, die Waffen und Rechtsextreme zeigen.
Kommentar von Thumilan Selvakumaran: Zufälle, Pannen, Verstrickungen
Ausgerechnet ein Polizist, der selbst Nähe zu Rassisten hatte, ermittelt im Todesfall eines NSU-Hinweisgebers. Ein Zufall? Eine Panne? Eine unsensible Diensteinteilung der Stuttgarter Polizei? Die Behörde will sich nicht dazu äußern, versteckt sich hinter der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft. Diese verweist zurück auf das Präsidium - die Polizei-Personalplanung sei nicht Sache der Juristen.
Der Beamte soll am Montag als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss zum Fall Florian H. aussagen - zunächst aber nicht zu seinen eigenen Verstrickungen. Dabei fällt auf, dass Verbindungen von Ermittelnden in rechtsextreme Kreise nie ganz aufgeklärt wurden. Im Fall Jörg B. hat die Behörde eigenen Angaben zufolge keine Belege dafür gefunden, dass der Beamte Mitglied im Ku-Klux-Klan war. Klar sei nur, dass er einem Kollegen den Kontakt hergestellt habe. Dieselbe Behörde erklärte allerdings zur Mitgliedschaft von zwei Polizisten im Klan, diese hätten nichts von der rassistischen Ideologie des Geheimbundes gewusst. Die Beamten sind heute noch im Dienst.
Da die Behörde wenig Interesse an Aufklärung zeigt, ist der Untersuchungsausschuss gefordert. Allerdings wird immer deutlicher, dass das Gremium bei der Fülle an Zufällen, Pannen und Verstrickungen kaum zum Ziel kommen wird. Anfang 2016 endet die Ausschussarbeit. Es rächt sich, dass die Parlamentarier das Gremium nicht früher eingesetzt haben.
Der NSU-Untersuchungsausschuss im Stuttgarter
Landtag hat Ermittler zum Tod eines wichtigen Zeugen befragt. Der
Neonazi-Aussteiger soll sich kurz vor einer Aussage umgebracht haben.
1:22 min | 9.3. | 16.00 Uhr
| Landesschau aktuell Baden-Württemberg
| SWR Fernsehen in Baden-Württemberg
Florian H. aus Eppingen
(Landkreis Heilbronn) hatte angeblich Informationen zum Mord an der
Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn im Jahr 2007. Vor eineinhalb
Jahren - wenige Stunden, bevor er sich ein weiteres Mal mit
Kriminalbeamten treffen sollte, um über den Mordfall Kiesewetter zu
sprechen - war er in seinem Auto im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt
verbrannt.
Suizid
unter anderem aus Liebeskummer, befanden die Ermittler damals schnell -
zu schnell nach Auffassung der Eltern. Sie warfen der Polizei vor, schlampig ermittelt zu haben.
Unter anderem seien Handy und Laptop des Toten unberührt im Autowrack
liegen geblieben. Mit den Angehörigen sei kaum gesprochen, Florians
ehemalige Freundin nie vernommen worden.
Keine Hinweise auf Fremdverschulden
Grund
genug für den NSU-Untersuchungsausschuss, die Ermittlungsergebnisse
noch einmal zu hinterfragen. Den ganzen Tag über stellten die
Ausschussmitglieder bohrende Fragen: Warum zum Beispiel gaben die
Ermittler das ausgebrannte Auto so schnell zur Verschrottung frei? Wie
konnte ein angesengter Collegeblock aus dem Auto einfach verschwinden?
Und vor allem: Warum wurde nicht der Frage nachgegangen, ob Florian H.
in den Tod getrieben wurde? Hinweise über Drohungen aus der rechten
Szene habe es doch gegeben. "Ist niemand von Ihnen, auch vielleicht im
Gespräch mit der Staatsanwaltschaft, darauf gekommen, dass vielleicht
eine Bedrohungssituation vorlag?", fragte der Ausschuss-Vorsitzende
Wolfgang Drexler (SPD).
Nach einem Tag stand fest: es war Suizid
Der
leitende Ermittler blieb am Montag jedoch dabei: "Für mich ist der Fall
Florian H. ein sicherer Fall. Es gibt für mich keinerlei Anhaltspunkte,
dass hier irgendjemand etwas von dritter Hand eingebracht hat, gezündet
hat, um den Florian H. umzubringen." Deshalb seien die Ermittler
innerhalb eines Tages zur Überzeugung gekommen, es müsse sich um Suizid
handeln.
Weil ihnen der
NSU-Hintergrund des Falls klar gewesen sei, hätten die Ermittler den
Aussagen zufolge auch das Handy und den Laptop des Toten auswerten
wollen. Das habe die zuständige Staatsanwaltschaft aber abgelehnt.
Begründung: Die Faktenlage erlaube rein rechtlich keine weiteren
Ermittlungen. Nach Aussagen eines anderen Beamten gab es deshalb auch
keine weiteren Ermittlungen in der rechten Szene - obwohl das
Landeskriminalamt darauf gedrängt habe: "Wir haben denen gesagt, wenn
sie etwas wollen, dann sollen sie es tun, aber von uns aus nicht."
Ku-Klux-Klan-Verdacht vorerst kein Thema
Eine
weitere Ungereimtheit konnte der Ausschuss nicht aufklären. Die
"Südwest Presse" hatte am Samstag berichtet, dass einer der Ermittler im
Fall Florian H. früher Kontakte zum rassistischen Ku-Klux-Klan gehabt
habe. Selbstverständlich werde der Ausschuss den Informationen
nachgehen, sagte dessen Vorsitzender Wolfgang Drexler (SPD). Aber die
Akten zu dem Thema lägen aktuell noch nicht vor. Daher könnten dem
Beamten, der am Montag ohnehin aussagen sollte, keine hinreichend
fundierten Fragen gestellt werden.
Den
Terroristen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) werden zehn
Morde an Kleinunternehmern ausländischer Herkunft sowie an der
Polizistin Michèle Kiesewetter zugerechnet. Der Untersuchungsausschuss
soll die Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg aufarbeiten. Bislang
befragte das Gremium Rechtsextremismus-Experten, um Anstöße für die
eigene Arbeit zu bekommen.
Spur des Verbrechens - das Kriminalmagazin aus dem Südwesten
Dienstag, 6. Januar 2015, 18.45 Uhr, SWR Fernsehen in Baden-Württemberg
Von Mord über
Betrug bis zum politischen Terror – "Spur des Verbrechens", das neue
SWR-Kriminalmagazin mit SWR-Moderator Michael Matting, erzählt von
außergewöhnlichen Kriminalfällen im Südwesten.
Gab es beim Mord
an Michèle Kiesewetter 2007 doch einen Einsatz von US-Agenten in
Heilbronn? War die Polizistin ein Zufallsopfer? Der
NSU-Untersuchungsausschuss befragte gestern fünf Sachverständige.
THUMILAN SELVAKUMARAN |
Stuttgart
Experte Hans Joachim Funke zweifelt an der Zwei-Täter-Theorie.
Als die Polizistin Michèle Kiesewetter im April 2007 auf der
Theresienwiese getötet wurde, liefen die Ermittlungen gegen die
Sauerlandgruppe auf Hochtouren. Die Amerikaner hatten damals laut
Presseberichten mehr als 100 Agenten in Deutschland im Einsatz.
Offenbar, so Rainer Nübel, Stern-Journalist und Co-Autor von
"Geheimsache NSU" vor dem Untersuchungsausschuss, habe es zur Tatzeit in
Heilbronn eine Observation gegen zwei Islamisten gegeben. Ihm sei ein
Protokoll einer US-Behörde zugespielt worden. Aber bereits zwei Stunden
nach der Veröffentlichung sei das Papier von einer großen Zeitung als
Fälschung abgetan worden. Der Journalist sieht die Bundesanwaltschaft
als Initiator.
Nübel begründet: "Bis heute hat die Bundesanwaltschaft nicht publik
gemacht, was hinter den Kulissen gemacht wurde." Er zitiert aus späteren
Schreiben deutscher und amerikanischer Behörden: Zwei FBI-Beamte seien
in Heilbronn gewesen. Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube habe zudem
bestätigt, dass an jenem Tag ein Verfassungsschützer zu einem Treffen
mit einem Islamisten in Richtung Heilbronn unterwegs war. Außerdem wurde
ein US-Special-Forces-Angehöriger nahe Heilbronn geblitzt.
Was an jenem 25. April in Heilbronn wirklich passierte, welche
Ungereimtheiten es noch gibt, das beschäftigt die anderen
Sachverständigen, darunter die Journalistin Andrea Röpke. "Wenn Michèle
Kiesewetter nicht aus Oberweißbach gekommen wäre, hätte ich gesagt, sie
war ein Zufallsopfer." Denn davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt.
Röpke weiß aber, dass es im Heimatort der Getöteten durchaus Kontakte
zum NSU gab. "Und ich gehe nicht von einem Trio aus." Es sei eine
Kerngruppe in einem Netzwerk, das unter anderem mit militanten
Hammerskins vernetzt war.
Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke ist indes überzeugt,
dass sich die These der Bundesanwaltschaft mit Uwe Mundlos und Uwe
Böhnhardt als Alleintäter nicht halten lässt. Die Erkenntnisse der
Sonderkommission Parkplatz zeigten, dass vier oder mehr Täter vor Ort
gewesen sein müssten.
Daran knüpfte Journalist Thomas Moser an. Mehrere Zeugen hätten
blutverschmierte Männer gesehen. Ein Angler, der nicht mehr ermittelt
werden konnte, habe von russisch sprechenden Tätern berichtet. Es könnte
Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und Rechtsextremismus
geben. "Lassen sie sich die Akten aus Karlsruhe kommen - ungeschwärzt",
fordert er die Parlamentarier auf. "Geheimschutz ist Täterschutz!"
Auch Wolfgang Schorlau wurde befragt. Der Krimiautor recherchiert
seit zwei Jahren in diesem Komplex, weil er derzeit ein neues Werk
vorbereitet. Er sieht Parallelen zum Oktoberfest-Attentat in München.
"Erst jetzt, nach 34 Jahren, rückt die Bundesanwaltschaft von der
Einzeltäter-These ab. Lassen sie es nicht zu, dass wir wieder 34 Jahre
warten müssen, bis wir erfahren, was wirklich passiert ist."